Sich selbst gute Gedanken schenken

Facharzt Dr. Johannes Neuhofer gibt Praxistipps für den Umgang mit überreizter Haut.

Viele Menschen kennen die juckende, chronisch entzündliche Hauterkrankung, die jedes 5. Kind und viele Erwachsene betrifft, unter dem Namen Neurodermitis. Warum sagt man heute atopische Dermatitis dazu?

Dr. Johannes Neuhofer: Im Wort Neurodermitis verbirgt sich die Silbe Neuro. Es hat etwas mit den Nerven, mit der Psyche zu tun. Somit kann es leicht passieren, dass man die Erkrankung in ein falsches Licht rückt und einen negativen Beigeschmack vermittelt. Seelische Probleme und Stress sind zwar als potente Auslöser eines Erkrankungsschubs bekannt, aber die atopische Dermatitis ist weit mehr. Das Wort atopisch kommt aus dem Griechischen, es stellt den Zusammenhang mit Allergien her bzw. die genetisch determinierte Bereitschaft, überempfindlich auf meist harmlose Stoffe aus der Umwelt zu reagieren.
Die atopische Dermatitis ist typischerweise durch extrem trockene Haut, Ekzeme und Juckreiz charakterisiert. Es handelt sich um eine chronisch entzündliche Hauterkrankung, der eine sogenannte Typ-2-Entzündung zugrunde liegt.

Welches sind die Trigger für die Erkrankung?

Die Auslöser sind individuell unterschiedlich und unglaublich breit gestreut. Beim einen ist es der Wollpullover, beim anderen ein Glas Orangensaft, beim dritten Stress, wodurch ein Krankheitsschub ausgelöst wird. Die trockene Heizungsluft im Winter, wenn man nicht hinaus kommt in frische Luft, heißes Duschen – all das kann einen Schub stimulieren. Vor allem die psychische Belastung ist ein großes Problem: Partnerschaftliche Probleme, familiäre Sorgen oder Schulstress sind ungünstig für die atopische Haut. Verschiedene Lebensmittel, vor allem Zitrusfrüchte wie Grapefruit oder Orangen, überhaupt rohes Obst wie beispielsweise Beeren sind potenzielle Allergene. Ich empfehle Reis, Kartoffeln und gedünstetes Gemüse zu essen. Wenn ein Schub da ist, sollte man diese Lebensmittel zu sich nehmen und beobachten, ob sich die Haut verbessert.
Austrocknende heiße Bäder und Seife sollten ebenfalls vermieden werden. In der Wärme kocht die Haut bildlich gesprochen regelrecht auf. Durch die Barrierestörung der Haut entsteht ein vermehrter Wasser- und Feuchtigkeitsverlust – dieser Neigung zur „undichten“ Haut sollte man vorbeugen.

Warum ist es wichtig, sich mit Neurodermitis oder atopischer Dermatitis nicht zu verstecken? Muss man sich für seine Haut schämen?

Keinesfalls muss man sich für seine Haut schämen! Es ist eine anlagebedingte Erkrankung der Haut, die wir heute sehr gut verstehen und auch behandeln können. Durch Verstecken kommt man in eine psychische Schieflage. Man muss die Thematik akzeptieren, die individuelle Hautsituation annehmen und nicht durch negative Gedanken die Entzündungsneigung noch mehr stimulieren. Es ist heilsam, sich nicht ständig auf den derzeitigen Hautzustand zu konzentrieren. Sich ablenken, sich dem alltäglichen Leben stellen ohne sich zurückzuziehen, wäre das Beste. Es gibt so viele Möglichkeiten, um problemfrei und positiv durch die Welt zu gehen!

Warum ziehen sich so viele Patienten zurück?

Es hängt mit dem Teufelskreis von Jucken und Kratzen bei der atopischen Dermatitis zusammen. Es juckt, man kratzt, die Haut wird beschädig und juckt noch mehr und so geht es immer weiter. Durch den Juckreiz in der Nacht unter der warmen Decke kommt es zu Schlafmangel, dieser führt zu Müdigkeit und Leistungsreduktion untertags, man fühlt sich schlapp und antriebslos, man möchte nicht hinaus gehen. Die Haut sieht nicht gut aus, die Patient:innen ziehen sich zurück, sind schlecht drauf und müde, es fehlt an Vitalität und Elan – das zieht hinunter und nimmt die Lebensfreude. Probleme wie Scheidung, Partnerwechsel, Schulversagen oder das Gefühl, die Decke falle einem auf den Kopf – all das kann sich im Hautbild widerspiegeln. Wenn alle glücklich sind, geht es auch der Haut besser. Den psychologischen Zusammenhang zwischen Hautzustand und Seele muss man immer miteinbeziehen. Es ist wichtig, dass es dem Menschen insgesamt gutgeht. Deshalb sollte man versuchen, nie den negativen Gedanken nachzugeben, die wie eine Spirale in den seelischen Abgrund ziehen – der Grundsatz lautet, sich selbst gute, positive Gedanken zu schenken!

Wie können Sie als Dermatologe den Patienten helfen?

Hautärzt:innen sind die ersten Ansprechpartner für Patient:innen mit atopischer Dermatitis. Meist betreuen wir Betroffene über viele Jahre in unterschiedlichen Phasen, in denen es ihnen einmal gut geht, und dann wieder schlechter. Wir sind glücklich, dass wir jetzt zusätzlich zur Basistherapie über neue moderne Therapien verfügen, die es erlauben, dass selbst Menschen mit schweren Verlaufsformen wieder zurück ins aktive Leben finden. Durch die innovativen Therapiemöglichkeiten schaffen wir es, auch schwere Fälle wieder ins Berufsleben einzugliedern.

Welche Tipps haben Sie für Patient:innen mit atopischer Dermatitis?

  • Die Kleidung sollte luftig und kühl sein, denn Keime fühlen sich nicht wohl, wenn es kühl ist; Wollstoffe, die reizen könnten, sollten vermieden werden.
  • Auf die Nahrung achten.
  • Die Haut hat eine reduzierte Widerstandskraft, daher sollte sie durch regelmäßige Pflege gestärkt werden.
  • Juckreizstillung kann durch oral eingenommene Antihistaminika erreicht werden, die den Teufelskreis aus Jucken und Kratzen unterbrechen.
  • UV-Bestrahlungen helfen sehr gut.
  • Traditionelle chinesische Medizin (TCM) kann ebenfalls hilfreich sein.
  • Individuell gewählte Entspannungstechniken (z.B. Meditation, Yoga)
  • Im Alltag entspannen, z.B. durch Waldspaziergänge
  • Das Wichtigste: Nicht die Hoffnung verlieren!

 

Danke für das Gespräch! Das Interview führte Dr. Christine Dominkus